100 Jahre Herz-Jesu-Gemeinde lassen uns an die Anfänge christlichen Lebens in Thale denken. Dabei führte der geschichtliche Rückblick bis in die Zeiten Karls des Großen. Gisela, die Gemahlin des Gaugrafen, gründete zum Andenken an einen Sieg des Kaisers an der Bode das Jungfrauenkloster Wendhusen, dass schon im 9. Jahrhundert als Winithohus erwähnt wurde. Im September 936 kam das Wendhusenkloster zum Quedlinburger Stift. Somit verlor dieses Kloster an Bedeutung. Der Zerfall des Klosters begann erst mit der Reformation. Im Jahre 1519 wurde es zuletzt als Nikolai-Kloster erwähnt. Im Bauernkrieg wurde es wieder zerstört. 1753 kauften dann die Freiherren von dem Bussche-Streithorst die Güter.
Im 13.Jhd. wurde im Zusammenhang mit dem Kloster auch der Ort Thale als Dorf erwähnt. Durch kriegerische Einwirkungen konnte sich Thale kaum entwickeln. Im Jahre 1851 hatte der Ort nur 200 Gebäude und circa 1600 Einwohner. Den Umschwung verdankt der Ort der Entwicklung des Eisenhüttenwerkes. Die Menschen von Thale und Umgebung hatten sich unter Ulrich XI. 1539 der protestantischen Lehre angeschlossen. Nur wenige Klosterkirchen der Umgebung retteten das katholische Glaubensgut. Erst 1680 wurde die Provinz Sachsen der nordischen Mission unterstellt. Unter Ferdinand von Fürstenberg wurden die wenigen Katholiken der Diözese Paderborn angegliedert. Die Thalenser Katholiken wurden rechtlich der Andreas-Gemeinde in Halberstadt zugewiesen. Um 1812 konnten in Halberstadt und Quedlinburg katholische Gottesdienste gefeiert werden. Ab 1858 gehörten die Thalenser Katholiken zur Quedlinburger Missionsgemeinde. 1875 zählte Thale nur 45 Katholiken.
Die Entwicklung des Thalenser Eisenhüttenwerkes zu einem industriellen Großbetrieb bewirkte Ende des 19. Jahrhunderts ein Anwachsen der Anzahl katholischer Einwohner. Die erste heilige Messe seit der Reformation wurde vom Quedlinburger Pfarrer Stieren am 6. August 1893 in Thale gehalten. Für 250 bis 300 Christen fanden die Gottesdienste im Gasthaus „Zum deutschen Kaiser“ statt. Seit dieser Zeit bemühte man sich um den Bau einer Kirche und einer Schule. Das weitere Anwachsen der Gemeinde auf etwa 600 Mitglieder führte dazu, dass im März 1898 die Einstellung eines eigenen Geistlichen für Thale genehmigt wurde. Die Gottesdienste fanden weiterhin in einem Gebäude des Hüttenwerkes statt. 1899 kaufte die katholische Gemeinde die Soltmannsche Kapelle, das heutiges Pfarrhaus. 1901 konnte das Grundstück vom Hüttenwerk dazugekauft werden. Die einst protestantische Kapelle, vom Hüttenbesitzer Johann Karl 1842 erbaut und später in Besitz der Familie Soltmann, war über viele Jahre katholisches Gotteshaus. Ein geplanter Kirchenneubau am Obersteigerweg unterhalb des Tannenkopfes scheiterte aufgrund schlechter Arbeit des Bauunternehmers. Im August 1911 konnte mit dem Bau des neugotischen Gotteshauses auf dem Soltmannschen Grundstück begonnen werden. Ausgeführt wurden die Arbeiten nach den Bauplänen des Diozesanbaumeisters Güldenpfennig. Nach erfolgter Innengestaltung fand am 10. Juni 1913 die feierliche Einweihung der Kirche durch den Bischof Dr. Karl-Joseph Schulte aus Paderborn statt.
1913 konnte die bisherige Kapelle zum Pfarrhaus umgebaut werden. In den darauf folgenden Jahren gründeten sich eine Vielzahl katholischer Vereine. Nachdem im I. Weltkrieg insgesamt 58 Männer der Gemeinde dem Krieg zum Opfer gefallen waren, schlossen sich im Januar 1919 die vier bisherigen Katholischen Männervereine zusammen.
Zu Ostern 1919 führten Franziskanerpatres in der Gemeinde mit großem Erfolg eine Mission durch: man zählte 700 Kommunikanten.
Bereits 1918 entschloss man sich zu einem Umbau in der Kirche, da die Kanzel einen akustisch ungünstigen Standort hatte. Die Ausgestaltung der Herz-Jesu-Kirche war auf das Leben, die Arbeit und das Gebet der Thalenser Katholiken zugeschnitten. Die Kosten für alle Arbeiten wurden durch enorme Spenden abgedeckt. 1922 waren die Innenräume der Kirche im Nazarener Stil, einer romantisch-christlichen Kunstrichtung ausgestaltet.
Seit dem 1. November 1921 war Thale eigenständige Pfarrei, zu der die Orte Thale, Neinstedt, Stecklenberg und Friedrichsbrunn gehörten. Bei der Festversammlung zur Pfarreinführung wurde eine Spende für die Anschaffung einer Orgel übergeben, die zwei Jahre später eingeweiht werden konnte. Nachdem 1917 die drei Bronzeglocken der Kirche für Kriegszwecke beschlagnahmt worden waren, genehmigte 1925 die Bischöfliche Behörde in Paderborn die Anschaffung dreier Guss-Stahlglocken. Am 23. Oktober des gleichen Jahres trafen die Glocken in Thale ein.
Auch der Kreuzweg, eine Schenkung der katholischen Lehrerin Antonie Voigt, hatte seinen Platz im Gotteshaus gefunden. Im Februar 1925 wurde der erste Kirchenvorstand der Herz-Jesu-Gemeinde gewählt.
Das Jahr 1925 endetet mit einer furchtbaren Flutkatastrophe, die ihre Spuren der Verwüstung auch im Kirchengrundstück hinterließ.
Im Jahre 1927 wurde im Pfarrgarten die Mariengrotte errichtet. 1928 richtete Pfarrer Dierks ein Pfarrkommitee ein, um die Laienhilfe in der Seelsorge zu verbessern. Die Gemeinde wurde zur besseren Betreuung jedes Einzelnen in 21 Bezirke geteilt. 1928 fand eine Mission statt. Zu den abendlichen Predigten kamen bis zu 600 Besucher. Die Gemeinde zählte derzeit etwa 1.400 Mitglieder. In dieser Zeit waren 281 Frauen und 159 Männer in Vereinen organisiert.
Am 1. September 1929 fand erstmalig in Thale der Dekanatskatholikentag statt. Zahlreiche Gläubige aus den Nachbargemeinden waren gekommen. Ein Levitenhochamt mit Festpredigt eröffnete den Tag. Nachmittags war Festandacht mit anschließendem Festumzug durch die Stadt. Höhepunkte waren Vorträge über „Kirche und Jugend“ und „Das Papsttum“. Mit einem zwanglosen Beisammensein klang der Tag im Hotel „Ritter Bodo“ aus.
Das Jahr 1933 brachte auch in Thale den großen Umschwung zum Nationalsozialismus. Christliche Stadtverordnete wurden entfernt, der Bürgermeister abgesetzt. Im 2. Halbjahr des Jahres 1933 begann die Einmischung der Gestapo in das kirchliche Leben: es wurden kirchliche Schriftstücke und Vereinsunterlagen beschlagnahmt. Nach der Machtergreifung Hitlers begann eine systematische Hetze gegen die Katholische Gemeinde. Pfarrer Schnieder wurde als Lump und Vaterlandsverräter „gebrandmarkt“. In Auslegung des Evangeliums verteidigte sich der Pfarrer von der Kanzel. Aufrecht schritt er durch Thale; das gab auch den Katholiken wieder Mut. Ab 1935 wurden in Thale die Predigten durch die Geheimpolizei kontrolliert und dem Männerverein wurde jede öffentliche Betätigung untersagt. Trotzdem entfalteten die beiden Jugendvereine mit Jungschar und Marienschar ein reges Leben in der katholischen Pfarrgemeinde.
Das Jahr 1936 brache ein dreifaches Jubiläum:
Aus diesen Anlässen fand in der zweiten Fastenwoche eine Volksmission statt, in die auch die polnischen Glaubensbrüder einbezogen waren. 300 - 450 Gläubige besuchten die Predigten. Am 9. August 1936 feierte die Gemeinde ihr 25. Kirchenjubiläum in einem feierlichen Gottesdienst. In der Nachmittagsandacht weihte Pfarrer Iseke die von der Gemeinde gestiftete Muttergottesfigur für die Grotte.
1937 war das Jahr der Skandalprozesse gegen Priester und Ordensleute.
Der Pfarrer von Thale protestierte auf seine Weise. Er bestellte die Zeitung „Tageblatt für Thale und Umgegend“ ab, mit dem Hinweis auf gehässige Tendenzen der Berichterstattung. Das Ergebnis war eine Beleidigungsklage gegen den Pfarrer, die von einem öffentlichen Schöffengericht mit 100 Mark Geldstrafe geahndet wurde. In Folge dieser Klage wurde der Pfarrer im gleichen Jahr durch den Regierungspräsidenten von Magdeburg aus dem Schulbeirat abberufen. Im Juli 1937 wurde durch die Gestapo der Diözesanverband der Jungmännervereine wegen angeblicher Vergehen gegen die Beteiligungsverbote aufgehoben. Damit fiel auch der Jungmännerverein von Thale der Gestapo zum Opfer. 1938 fanden Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern des Vorstandes vom Männerverein statt.
Im selben Jahr erhielten 73 junge Menschen die Firmung. Unmittelbar nach Beginn des II. Weltkrieges kamen die ersten 38 Flüchtlinge aus dem Saarland und im Laufe der Woche weitere 1000 Grenzlanddeutsche. Mit ihnen kamen 6 Geistliche in die Gemeinde. Es begann ein Aufschwung des geistlichen Lebens. Ab 17. September 1939 wurde von Thale aus in den protestantischen Kirchen der Umgebung katholische Gottesdienste gehalten. Der Flüchtlingsstrom riss nicht ab. An Sonn- und Feiertagen wurden drei heilige Messen gehalten und die Kirchen waren gefüllt. Nachdem die katholische Schule zu Ostern 1939 aufgelöst worden war, machte sich der Einfluss der katholischen Kinder aus dem Saarland in der Gemeinschaftsschule positiv bemerkbar. Durch die Frontverschiebung konnten die Saarländer wieder in ihre Heimat. Nach einer Abschiedsfeier am 21. Juli 1940 erfolgte unter Glockengeläut der Abtransport. Pfarrer Schnieder, am 9. November 1939 zum Dechanten des Dekanates Halberstadt ernannt, leitete nun wieder eine Diasporagemeinde, denn die ca. 3000 Saarländer hinterließen eine spürbare Lücke. Das sollte nicht lange so bleiben, denn durch die Kriegswirren hatte in Deutschland eine wahre Völkerwanderung eingesetzt. Die Repressalien gegen Christen nahmen zu. So wurde der katholische Pfarrer von Thale nach polizeilichen Verhören am 11. Juli 1941 für drei Wochen in Schutzhaft genommen. Der Grund: fünf polnische Männer hatten an der Fronleichnamsprozession teilgenommen. Auch die fünf Männer wurden im Anschluss an die Prozession von der einheimischen Polizei festgenommen.